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Wahrnehmungsbasierte Wissensrepräsentation

Die vorangegangenen beiden Kapitel führten die Informationsverarbeitung an der Peripherie des kognitiven Systems aus - dies betraf vor allem das Wahrnehmungssystem und zum Teil das Reaktionssystem. Jetzt wenden wir uns dem Fortgang der Verarbeitung von Informationen zu, nachdem diese wahrgenommen wurden und Eingang in das kognitive System gefunden haben. Es stellt sich heraus, daß die weitere Informationsverarbeitung von der Art der Repräsentation der Information in diesem System abhängt. Einige Arten der Wissensrepräsentation erhalten viel von der Struktur der ursprünglichen Wahrnehmungserfahrung. Dieses Kapitel legt den Schwerpunkt auf solche wahrnehmungsbasierten Wissensrepräsentationen; Kapitel 5 stellt vor allem bedeutungsbezogene Wissensrepräsentationen vor, die stark von den perzeptuellen Details abstrahieren und den Bedeutungsgehalt der Erfahrung enkodieren.
Vielleicht unterscheidet sich die Kognitive Psychologie von dem frühen Behaviorismus am stärksten durch den Anspruch, daß interne Wissensrepräsentationen vorliegen, über die der Verstand arbeitet. Zum Teil spiegeln die kontroversen Ansichten über die Art der Wissensrepräsentation das Durcheinander wider, das durch die Trennung der Kognitiven Psychologie vom Behaviorismus entstanden ist. Es hat Debatten darüber gegeben, welche Arten von Wissensrepräsentationen vorliegen und was genau in den verschiedenen Aussagen zur Wissensrepräsentation zum Ausdruck gebracht werden soll. In diesem Kapitel werden wir darlegen, was wir mit Repräsentation von Wissen meinen; aber bevor wir dies tun, wird es nützlich sein, einige Belege für eher intuitive Vorstellungen über Wissensrepräsentation zu sammeln - diesen Vorstellungen zufolge gibt es verschiedene interne Repräsentationen für verbale und für visuelle Informationen. Wie wir noch sehen werden, stellt sich diese Unterscheidung als viel komplexer heraus, als es durch diese einfache Dicholomisierung erscheint; sie bietet allerdings einen guten Einstieg.
 

Vergleiche zwischen verbaler und visueller Verarbeitung

Ein Experiment von Sama (1977) veranschaulicht sehr schön den Unterschied zwischen visuellen und verbalen Repräsentationen. Die beiden Versuchsbedingungen aus dem Experiment von Santa zeigt Abbildung 4.1. Unter der geometrischen Bedingung (Abbildung 4. l a) wurde den Probanden eine Anordnung dreier geometrischer Objekte - zwei oben und eines unten - als Vorgabereiz dargeboten. Wie der Abbildung entnommen werden kann, besitzt dieser Vorgabereiz etwas, was einem Gesicht gleicht - unschwer können wir Augen und einen Mund sehen. 

Abb. 4.1 Versuchsaufbau in dem Experiment von Santa (1977). Die Probanden betrachteten sich einen Vorgabereiz und hatten dann zu entscheiden, ob die Prüfreize die gleichen Elemente enthallen.

Nachdem die Probanden diesen Vorgabereiz betrachtet hatten, wurde er entfernt, und es wurde sofort eine Anzahl von Prüfreizen präsentiert. Die Aufgabe bestand darin zu verifizieren, ob diese Prüfreize die gleichen Elemente enthalten wie die Vorgabereize, wenn auch nicht notwendigerweise in der gleichen räumlichen Konfiguration. Die Probanden sollten also auf die ersten beiden Prüfreize zustimmend und auf die anderen beiden Prüfreize ablehnend reagieren. Das Interesse galt nun dem Unterschied der beiden positiven Prüfreize. Der erste Prüfreiz ist identisch mit dem Vorgabereiz (Gleiche-Konfiguration-Bedingung), während der zweite Prüfreiz die Elementen in linearer Folge (Lineare-Konfiguration-Bedingung) wiedergibt. Santa sagte voraus, daß unter der ersten Bedingung (identische Konfiguration der Elemente) die positive Reaktion schneller erfolgen müßte, da das visuelle Gedächtnis die räumlichen Informationen des Vorgabereizes aufrechterhalten habe. Die Ergebnisse der geometrischen Bedingung sind Abbildung 4.2 zu entnehmen. Wie man sehen kann, bestätigten sich die Vorhersagen Santas. Die Probanden reagierten schneller, wenn der geometrische Prüfreiz die Konfigurationsinformation des Vorgabereizes unverändert aufwies.
Die Ergebnisse unter der geometrischen Bedingung sind noch eindrucksvoller, wenn sie den Ergebnissen der verbalen Bedingung gegenübergestellt werden (vgl. Abbildung 4.1b). Hier wurden Wörter exponiert, deren räumliche Konfiguration mit den geometrischen Objekten unter der geometrischen Bedingung identisch war. Allerdings legte das Reizmaterial, da es aus Wörtern bestand, nicht diese Ähnlichkeit mit einem Gesicht nahe und besaß auch keine bildhaften Eigenschaften. Santa spekulierte, daß die Probanden die Wortanordnung wie beim normalen Lesen enkodieren würden; das heißt von links nach rechts und von oben nach unten. Für den abgebildeten Vorgabereiz sollten sie also Dreieck-Kreis-Quadrat enkodieren. Wiederum wurden Prüfreize dargeboten. Die Probanden hatten zu beurteilen, ob die Wörter identisch waren. Alle Prüfreize bestanden aus Wörtern, und es wurden die Möglichkeiten der Konfiguration wie unter der geometrischen Bedingung genutzt. Die beiden positiven Prüfreize sind Beispiele für die Gleiche-Konfiguration-Bedingung sowie für die Lineare-Konfiguration-Bedingung. Zu beachten ist, daß die Folge der Wörter der linearen Prüfreize genau Santas Voraussage entsprach, wie die Probanden die Vorgabereize enkodieren würden. Santa sagte voraus, daß die Probanden am schnellsten auf die linearen Prüfreize reagieren, da sie die Wörter der Vorgabereize

Abb. 4.2 Reaktionszeiten aus dem Experiment von Santa (1977). Es zeigt sich ein Interaktionscffekt zwischen der Art des verwendeten Materials und der raumlichen Konfiguration innerhalb der Prüfreize.

ebenfalls linear kodieren. Wie Abbildung 4.2 zeigt, wurden diese Annahmen ebenfalls bestätigt. Die Befunde aus der verbalen und der geometrischen Bedingung weisen dementsprechend einen starken Interaktionseffekt nach.
Die Befunde aus Santas Experiment legen den Schluß nahe, daß ein Teil der visuellen Information (beispielsweise geometrische Objekte) eher entsprechend ihrer räumlichen Anordnung, andere Informationen (beispielsweise Wörter) hingegen eher als lineare Anordnung gespeichert werden.
Eine ganz andere Art von Daten zum Unterschied zwischen visuellen und verbalen Repräsentationen entstammt den Forschungen von Roland und Friberg (1985). Die Probanden sollten entweder in Gedanken einen Merkvers aufsagen oder sich ebenfalls in Gedanken den Weg vorstellen, der durch die Nachbarschaft bis zu ihrem eigenen Haus führt. Wie in der Untersuchung von Posner et al. (1988). die in Kapitel l dargestellt wurde, bestimmten Roland und Friberg Veränderungen der Blutzufuhr in unterschiedlichen Regionen des Cortex. 

Abbildung 4.3 zeigt, welche Regionen des Cortex durch die jeweilige Aufgabe aktiviert wurden. Überall, wo ein R steht, liegen Gebiete, deren Aktivität durch die räumliche Wegeaufgabe erhöht wurde; ein J steht über denjenigen Arealen, die eine gesteigerte Aktivität während der Merkversaufgabe aufwiesen. Dadurch wird deutlich, daß unterschiedliche Hirnregionen in die Verarbeitung verbaler und räumlicher Information involviert sind. Es scheint sogar so zu sein, daß diese Himregionen noch stärker in die Verarbeitung von aktuell Gesprochenem und Gesehenem (und nicht nur Erinnertem) involviert sind. Die occipitalen und temporalen Areale, die bei der Wegeaufgabe eine Rolle spielen, sind die gleichen Areale, die bei der visuellen Wahrnehmung wichtig sind. Verbale visuelle Informationen werden in unterschiedlichen Hirnarealen und auf unterschiedliche Art und Weise verarbeitet. Man kann dies als Beleg dafür ansehen, die beiden Repräsentationsarten mit den beiden Modalitäten zu verknüpfen, so wie Pairios Theorie der dualen Kodierung dies auch vorschlägt.
 

Benutzer: Gast • Besitzer: matthias • Zuletzt geändert am: