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Die Diskussion soll in fünf Etappen mit je spezifischen Fragestellungen geführt werden:
1. Visualisierung als Brücke zwischen Greifen und Begreifen:
Wie werden Bilder geistig verarbeitet?
2. Didaktisches Potential von Bildern: In welcher Funktion können
Bilder verwendet werden?
3. Varianten der Visualisierung: In welchen Formen können
Bilder verwendet werden?
4. Integration von Bildern in eine didaktische Präsentation:
In welcher Form sollten Bilder mit Text verknüpft werden?
5. Zielgruppenangemessene Verwendung von Symbolformen: Wie begründet
sich ein Zusammenhang zwischen Symbolform und Lernermerkmalen?
1. Visualisierung als Brücke zwischen Greifen
und Begreifen: Wie werden Bilder geistig verarbeitet?
Historisch gesehen stellen Bilder ein wesentlich älteres Lernmedium
dar als die Schrift. Denkt man etwa an die Höhlenbilder, an die Funktion
der Malerei vor der breiten Einführung der Schrift noch im Mittelalter
oder an die Bedeutung der emotional-sinnlichen Qualität des Bildhaften
etwa für den Katholizismus, so wird der hohe Stellenwert des Bildes
für die Übertragung von Erfahrung und Kultur deutlich. Auch heute
bekommt das Medium des Bildes in der Pädagogik immer dann einen hohen
Stellenwert, wenn die Schrift als verwendbare Symbolform entweder ausfällt
oder nur rudimentär einsetzbar ist, so etwa in der Alphabetisierung
Freire's oder in der Sprachförderung von Migranten.
Diese kulturgeschichtliche Entwicklung bildet sich auch in entwicklungspsychologischen
Theorien ab. Nach Bruner (1971) vollziehen sich Lernen und interne Repräsentation
von Erfahrung in drei Formen, wobei ein Fortschreiten. von derenaktiven
(praktischhandelndes Tun und Greifen) über die ikonische (bildhafte
Vorstellung) zur symbolischen (sprachlich
verschlüsselte Darstellung) Form angenommen wird. Die enaktive
Form beschreibt die Methode des Kleinkindes, das die Sachen untersucht,
die man ihm in die Hände gibt: schütteln, darauf schlagen, kratzen,
saugen u. a. m. Die ikonische Form beschreibt den Übergang, nach dem
die Beobachtung aus erster (in erlebter Realsituation) oder zweiter Hand
(medial vermittelt) das Eigentun ersetzt. Der Beobachter macht sich ein
inneres Bild von der Sache, indem er die Struktur des Objektes oder den
Ablauf eines Ereignisses innerlich nachahmt und sich vorstellt. Die symbolische
Form schließlich reduziert komplexe Strukturen oder Ereignisse auf
Begriffe und Modelle, die sprachlich abgebildet werden. Aus dem Unterricht
mit all seinen Spezifika und Besonderheiten wird dann beispielsweise ein didaktisches Modell; aus
dem je individuellen Prozeß der Gestaltung von Lernsoftware wird
ein Modell zur Entwicklung von Lernsoftware (LSE).
Das Bild stellt demnach eine Brücke zwischen Greifen und Begreifen
dar, zwischen dem praktischen Eingreifen des Menschen in und seiner sprachlichen
Abbildung von derWelt. "Dem Begriff geht das Begreifen voraus, der Einsicht
das Einsehen." (Aebli 1987, S. 183) Das Bild ist dann entweder der Stellvertreter
der Sache selbst oder des Begriffs von der Sache. Begriffe und Sprache
sind Instrumente, mit deren Hilfe die Welt konstruiert und verstanden werden
kann. "Denn wo wir einen Begriff gebildet haben, da haben wir eine Erscheinung,
im Griff." (Aebli 1987, S. 245) Je nach Blickrichtung werden konkrete Eindrücke
auf (innere) Bilder abstrahiert oder aber abstrakte Worte durch bildhafte
Vorstellungen illustriert. Im didaktischen Kontext bedeutet dies, daß
Lerninhalte prinzipiell erschlossen werden können entweder durch praktisch-handelnde
Demonstration, durch das Betrachten eines Bildes oder durch die sprachliche
Darstellung in Form von Geschriebenem oder
Gesprochenem.
Die bisherigen Ausführungen deuten daraufhin, daß Bilder
nicht die beste, jedoch im Ensemble mit anderen eine wichtige Form der
Informationsvermittlung darstellen. Es wäre nunmehr zu fragen, wie
die geistige Verarbeitung von Bildern erfolgt und inwieweit sich diese
gegenüber anderen Symbolformen unterscheidet. Der schnelle Hinweis
auf die Formationsaufnahmekapazität des Menschen scheint nur begrenzt
hilfreich, da unterschiedliche Menschen unterschiedliche Inhalte und "Mengen"
gleicher Informationsströme behalten und verstehen.
Vgl. etwa die Darstellungen von Frank, nach der
die Sinnesorgane des Menschen folgende Informationsquantitäten wahrnehmen
können:
-optischer Kanal: 17 Mio. bit/sec;
- akustischer Kanal: 9 Mio. bit/sec;
-taktiler Kanal: 4 Mio. bit/sec;
-thermischer Kanal: 50000 bit/sec;
- propriozeptiver Kanal: 10000 bit/sec;
-olfaktorischer Kanal: 20 bit/sec;
-gustativer Kanal: 13 bit/sec.
Von dieser Fülle an Reizen gelangen max,
16 bit/sec in das Kurzzeitgedächtnis, um von dort weiterverarbeitet
zu werden (Darstellungen aus Lipsmeier/Seidel 1987)
(Bildliche) Informationen werden demnach nicht im Gedächtnis des
Menschen abgebildet, sondern sie werden interpretiert und aktiv verarbeitet.
Die auf den Menschen einströmenden Eindrücke werden dabei von
ihm
* selektiert, d.h., aus der komplexen Vielzahl aller möglichen
Informationen werden von ihm solche ausgewählt, die er als (be)merkenswert
bewertet, die ihn interessieren (oder in der Sprache der Pädagogik:
die ihn motivieren);
* elaboriert, d.h. mit vorhandenen Erfahrungen verknüpft und zu
neuen Bedeutungsmustern konstruiert.
Ein Beispiel von Dewey mag dies verdeutlichen: Die wenigsten Menschen besitzen eine genaue Vorstellung vom Ziffernblatt ihrer Uhr, die sie doch täglich mehrere Male ansehen. "Fordert man eine Gruppe von Erwachsenen auf, das Ziffernblatt ihrer Uhr zu zeichnen, so macht man die erstaunlichsten Feststellungen. Geschweige, daß die wenigsten wissen, ob das Sekundenzifferblatt die Stundenzahl ,6' ganz oder teilweise überdeckt: viele wissen nicht einmal, ob die Ziffern ihrer Uhr arabisch oder römisch sind [,..]. Desgleichen ist es zwar den Menschen leicht möglich, sehr vertraute Formen, etwa Bauwerke, wiederzuerkennen und zu identifizieren, sie aber auch nur in den gröbsten Umrissen zeichnerisch wiederzugeben, vermögen sie nicht." (aus: Aebli 1987, S. 86)
Das Bild gilt als ganzheitlich-analoges Medium, im Gegensatz zur Sprache, die als ein linear-sequentielles Medium gilt. Beim Bild wird die gesamte Informationsbasis simultan präsentiert; erst der Betrachter schafft durch sein sequentielles Abtasten des Bildes und durch die Aktivierung seiner Erfahrungen ein Verständnis. Bildinformationen sind flüchtiger und weniger eindeutig. Bilder lenken den Lernerweniger als Text. Der Text erschließt sich induktiv, das Bild deduktiv. Bilder können auch eine Zeichenfunktion besitzen (z. B. Spielkarten). Bilder vermitteln einen sinnlichen Gesamteindruck, sie sind oft ohne vollständige rationale Entschlüsselung verständlich. Texte, die versuchen, Eindrücke zu vermitteln, Assoziationen zu schaffen und Zusammenhänge aufzuzeigen, werden schnell so komplex, daß die Anschaulichkeit leidet. Texte zwingen dem Leser in ihrer Linearität ihre Gesetze auf, schreiben eine Reihenfolge der Argumente vor. Bilder sind daher eine Alternative oder eine Ergänzung zum Text.
Eine Vielzahl mediendidaktischer Untersuchungen beschäftigt sich mit der auch im Rahmen des CUL bedeutsamen Frage, ob Bilder oder Worte eine höhere Lernwirksamkeit besitzen. Die meisten Untersuchungen gehen davon aus, daß Bildinformationen besser behalten werden (vgl. Issing 1985, S. 16). Eine Erklärung dafür bietet Paivio (1977) mit seiner dualen Kodierungshypothese, nach der Bilder im Gedächtnis sprachlich und bildlich enkodiert werden, Worte hingegen nur sprachlich. Dem steht die sogenannte Selektivitätshypothese gegenüber, die Informationseinheiten mit einer hohen Reizfülle und -dichte (wie z. B. Bildern) eine geringere Lernwirksamkeit zubilligt, da das zentrale Nervensystem aufgrund der begrenzten Reizverarbeitungskapazität eine Selektion von Informationen vornimmt. Eine Differenzierung nimmt Dwyer (1978) vor, wenn er die Lernwirksamkeit unterschiedlicher Symbolformen zum Lerntempo in Beziehung setzt. Seine Untersuchungen ergeben, daß bei fremd- bzw. außengesteuertem Lerntempo die visuellen Darstellungen mit geringerer Reizdichte eine höhere Lernwirksamkeit besitzen, während bei selbstgesteuertem Lerntempo visuelle Darstellungen mit höherer Reizdichte einen höheren Lernerfolg versprechen. Die Befunde deuten darauf hin, daß visuelle Informationen insbesondere für visuelle Lerntypen eine hohe Lernwirksamkeit versprechen, andererseits aufgrund ihrer immanent hohen Reizfülle eine ausreichende Verarbeitungszeit beanspruchen, sollen die Informationen nicht nur oberflächlich aufgenommen werden (vgl. auch Salomon 1979,S.224).
Weidenmann weist daraufhin, daß der weithin verbreitete pädagogische Optimismus im Hinblick auf die pädagogische Effektivität von Bildinformationen nur begrenzt begründbar sei. "Neuere Befunde aus der Forschung mit bewegten Bildern (Film/Fernsehen) dokumentieren, daß Lernergerade bei Bildern zu einer oberflächlichen und gedankenlosen Verarbeitung neigen," (Weidenmann 1988, S. 44) In Anlehnung an Salomon erklärt er dies dadurch, daß Texte allgemein als "seriös" und "schwierig", Bilder hingegen als "unterhaltsam" und "leicht" aufgefaßt würden, was zu einem unterschiedlichen Grad an Anstrengung bei den Lernern führe, wenn sie mit Texten bzw. Bildern konfrontiert werden. Da Bilder als leicht gelten, werden die Lerner nur eine geringe mentale Anstrengung investieren und die Informationen "gedankenlos" aufnehmen.
2. Didaktisches Potential von Bildern; In welcher Funktion können Bilder verwendet werden?
Bilder können im Rahmen eines Lernprogramms unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. Die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten sollen im folgenden skizziert und-in Anwendung der beschriebenen Illustrationsfunktion - praktisch demonstriert werden.
Bilder in der Informationsfunktion:
Bilder können in Form von Filmsequenzen, Photographien
oder gescannten Bildern die Funktion des dokumentarischen Abbilds wahrnehmen. Sollen beispielsweise Informationen über
die Bilder impressionistischer Maler vermittelt, im Rahmen eines einführenden
Lernprogramms die Mitarbeiter einer
Unternehmung mit ihren Aufgaben und Abteilungszugehörigkeiten vorgestellt oder im Rahmen
einer Technikerschulung der Einbau
von Bauteilen veranschaulicht werden, so können Bilder eine bedeutende Funktion zwischen Begriff und Realität bilden.
Das Bild erleichtert das Wiedererkennen in der Realität, Lern- und Lebenssituation werden somit über das Bild enger miteinander
verbunden. In diesem Sinne kommt dem Bild eine unmittelbar informierende Funktion zu.
Als Beispiel sei etwa die elektronische Datei über die in einem
Unternehmen verwendeten bzw. lieferbaren Schraubenarten und -großen
angeführt. Das in der Abbildung abgedruckte Bild informiert über
Form und Größe des jeweiligen Schraubentyps.
aus:
Didaktik des computerunterstützten Lernens
Praktische Gestaltung und theoretische Grundlagen
Dr. Dieter Euler
BW Bildung und Wissen Verlag und Software GmbH, Nürnberg, 1992
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