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Beispiele und Erklärungen

Wie dargestellt, wurde Entdeckendes Lernen (EL) zunächst als Lernen mit Beispielen definiert. Abstrahiertes Wissen erwerben Lernende, indem sie Gemeinsamkeiten aus einer Reihe von Beispielen bilden. Nun ist Wissen jedoch weniger abstrahiert und dekontextualisiert als ursprünglich angenommen. Wissen in Form einzelner Beispiele und Fälle setzen Experten ein, um damit Probleme auf ihren Gebieten zu lösen (case-based reasoning; CBR).
Fallbasiertes Lernen ist nicht nur in Jura und Medizin angebracht, sondern auch in formalisierten Fächern wie Mathematik (DARPA, 1989). Bereits einzelne Fälle können so analysiert werden, daß sie sich verfeinem und generalisieren lassen. Solche Lernprozesse werden als explanation-based learning (EBL) bezeichnet (DeJong & Mooney, 1986). Bei dieser Form des Entdeckendes Lernen durch Beispiele untersuchen Lernende, warum ein bestimmtes Beispiel einen zu verallgemeinernden Fall darstellt, statt Gemeinsamkeiten mehrerer Beispiele zu suchen. Nach Brown und Kane (1988) können bereits Vorschüler „erklärungsbasiert" lernen und so generalisierbares Wissen (über Abwehrmechanismen bei Tieren) erwerben.
Fallbasiertes Lernen dieser Art stützt sich meist auf worked examples als vollständig explizierte Anwendungsfälle allgemeineren Wissens (z.B. Textaufgaben mit Formeln, Rechenschritten und Erklärungen; Neber, 1996c). Untersuchungen zu Lerneffekten mit worked examples sind wider-sprüchlich. Mikroanalysen der von Lernenden pro-duzierten Selbsterklärungen beim Durcharbeiten einzelner Beispiele deckten starke interindividuelle Differenzen auf (Pirolli, 1991). Auch diese Form des EL sollte daher gelenkt und möglichst differenzierend unterstützt werden. Die verwendeten Beispiele und Fälle sollen das —> Arbeitsgedächtnis nicht überfordern sowie nutzungsrelevante Ziele (Funktionen) und Anwendungsbedingungen (Kon-ditionen) des exemplifizierten Wissens deutlich machen (Neber, 1996c). Mit Hinweisreizen (z.B.: Wie ist das zu erklären?) kann die Erklärungstätigkeit und damit die Elaboration der Beispiele zusätzlich angeregt werden.

Explorieren und Experimentieren

Bei dieser Form des EL werden durch Lernende manipulierbare, in Variablen und deren Effekte zerlegbare Lernumwelten zur Verfügung gestellt. Bevorzugt wird dies in Naturwissenschaften praktiziert (Neber, im Druck). Eine —> Metaanalyse zeigt, daß die häufig als inquiry-based bezeichneten Curricula besonders Strategien und Interessen zur Steuerung des Wissenserwerbs durch Lernende auf diesen Gebieten fördern (Shymansky, Hedges Woodworth, 1990).
Fertigkeiten des Planens, Hypothesenbildens und Hypothesenprüfens nehmen dabei eine prominente Rolle ein. Sie ermöglichen den selbstgesteuerten Erwerb kausalen Wissens auf dem explorierbaren Gebiet. Dies trifft auch auf neuere computergestützte, im obigen Sinn manipulierbare Lernumwelten zu (—> Programmierter und computerunterstützter Unterricht). Shute und Glaser (1990) erreichten durch ein solches System (Smithtown), daß Studenten der Wirtschaftswissenschaften sowohl bereichsspezifisches Wissen als auch Fertigkeiten des selbständigen Entdeckens solchen Wissens (inquiry skills) erwarben. Verallgemeinert wird kognitive Entwicklung nach Piagets engerer Konzeption gefördert. Kühn und Brannock (1977) stellten fest, daß EL durch Experimentieren das für diese Konzeption zentrale „Isolierung-von-Variablen" Schema aufbaut und damit formal-Operatorisches Denken begünstigt.
EL durch Explorieren und Experimentieren führt allerdings nicht in allen Fällen zu den intendierten Effekten. Während in früheren Ansätzen allgemeine Voraussetzungen wie —> Intelligenz und Begabung oder Piaget'sches Entwicklungsniveau berücksichtigt worden sind, zeigen neuere Untersuchungen den weit stärkeren Einfluß spezifischer individueller Voraussetzungen. In neueren Modellen, in denen EL durch Experimentieren im Rahmen des Problemlöseparadigmas beschrieben wird (Dunbar u.a., 1989; Siegler & Jenkins, 1989), werden vor allem kapazitative Voraussetzungen, bereichsspezifisches Vorwissen sowie metakognitives Wissen (—> Metakognition), Überzeugungen und mentale Modelle über das Experimentieren als effektverursachende individuelle Determinanten hervorgehoben. Diese Voraussetzungen sind bei Lernenden unterschiedlich entwickelt. EL durch Explorieren und Experimentieren sollte daher entsprechend adaptiv erfolgen, d.h. auch in dieser Form als gelenktes Entdecken. Neuere Beispiele für eine adaptive Lenkung des Explorierens und Experimentierens sind die in Komplexität und Abstraktionsniveau sorgfältig sequentiellen „micro-worids" von White (1993), durch die physikalisches Wissen durch bildschirmgestütztes Experimentieren erworben wird. Schauble, Klopfer und Raghavan (1991) konnten durch variierende Zielangaben bei Fünftklässlern erreichen, daß sie das Lernen durch Experimentieren nicht als Herstellung interessanter Effekte, sondern als Möglichkeit zum Erwerb kausalen Wissens auffassten und ihre Lernaktivitäten auf dieses Ziel hin organisierten.

Abschließende Bemerkung

Insgesamt ist EL zu einem multiplen Konzept des Lehrens und Lernens geworden, dessen Realisierung nicht mehr eine Entweder-Oder-Frage ist. Die inzwischen erarbeiteten Formen lassen sich flexibel verwenden, um die Qualität von Instruktionen auf allen Ebenen mit unterschiedlichen Medien und Beteiligten zu steigern.

 aus: Handwörterbuch Pädagogische Psychologie / herausgeg. von D.H.Rost / Psychologie-Verlags-Union 1998
 

Benutzer: Gast • Besitzer: matthias • Zuletzt geändert am: